Vorgängerprojekt: Vergleichende Analyse von aktuellen antisemitischen Phänomenen im „Dark Social“.

Kontext: Wie (und warum) die Kremlführung Antisemitismus streut

Staatsnahe Akteure in Russland verbreiteten auch schon vor der Invasion in die Ukraine antisemitische Narrative und Andeutungen. So zum Beispiel die Russisch-Orthodoxe Kirche oder staatliche Medien. Aber auch direkt aus dem Kreml und seinem Umfeld hat es in den vergangenen Jahren immer wieder antisemitische Äußerungen gegeben – in jüngster Zeit besonders mit Bezug zur Ukraine. Dabei lässt sich jeweils eine Zunahme während des Georgien-Kriegs 2008, nach der Krim-Invasion 2014 und nun mit dem großflächigen Angriff auf die Ukraine 2022 feststellen.

Antisemitismus aus dem Kreml: Putin, Medwedew und Lawrow


Wladimir Putin bediente sich in seinem Essay vom 12. Juli 2021 über die „Einheit von Russen und Ukrainern“ eher codiert dem antisemitischen Narrativ einer Weltverschwörung, deren Steigbügelhalter der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sei. 

 

Putins politischer Weggefährte Dmitri Medwedew (von 2008 bis 2012 russischer Präsident und heute stellvertretender Leiter des Sicherheitsrates der Russischen Föderation) wurde wenige Monate später in einem eigenen Essaydeutlicher und bezeichnete Selenskyj unverhohlen als ein „jüdisches Sonderkommando“.

 

Seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine im Februar 2022 hat vor allem Außenminister Sergej Lawrow die Erzählung vom nazistischen, antisemitischen Juden aufgegriffen und bei verschiedenen Gelegenheiten in der internationalen Öffentlichkeit platziert. 

 

Zum Beispiel behauptete er in einem Interview gegenüber dem italienischen Fernsehsender Rete 4, dass es für die von Russland propagierte Entnazifizierung der Ukraine keine Rolle spiele, dass Wolodymyr Selenskyj Jude ist. Schließlich sei Hitler ebenfalls jüdischer Herkunft und überhaupt seien einige der schlimmsten Antisemiten selbst Juden gewesen, so Lawrow. 

 

Ein weiteres Beispiel ist Lawrows Äußerung bei einer Pressekonferenz im Januar 2023, als er davon sprach, dass eine angebliche antirussische Koalition den Krieg führe, um „die Endlösung der russischen Frage“ zu erreichen. Damit setzte er die internationale Unterstützung für die Ukraine mit den Verbrechen Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus gleich, als die Nazis mit dem Holocaust die „Endlösung der Judenfrage“ planten.

 

Motive, Gründe und Zwecke


Als Motivation für diese antisemitischen Äußerungen von offizieller russischer Seite lassen sich zwei zentrale Zwecke identifizieren: 

 

Zum einen geht es darum, den Angriffskrieg nach innen und außen zu rechtfertigen. In Deutschland und anderen westlichen Staaten sollen zudem Zweifel an der Integrität der Ukraine sowie ihren Zielen geschürt und letztlich die Unterstützung für den angegriffenen Staat untergraben werden. Zugleich zielt die russische Propaganda generell darauf, den politischen Diskurs in den westlichen Demokratien zu vergiften und sie so zu destabilisieren.

 

Zum anderen geht es um die Mobilisierung von Menschen, die für antisemitische Narrative empfänglich sind, für den russischen Kriegskurs – sowohl innerhalb als auch außerhalb Russlands; sei es durch die (Weiter-)Verbreitung entsprechender Propaganda, finanzielle Unterstützung oder gar die aktive Teilnahme an Kampfhandlungen gegen die Ukraine (z.B. von paramilitärischen rechtsextremen Gruppen).

 

Es geht zudem darum, weitere politische Zustimmung innerhalb der russischen Gesellschaft zu Putins Plänen zu erzeugen, indem an den dort vorhandenen Antisemitismus angeknüpft wird. So versuchen Vordenker der russischen Staatspropaganda bereits seit Jahren, die Herrschaft Putins in der polit-philosophischen Gestalt des christlichen Nationalismus und durch eine Verzerrung des Holocaustgedenkens zu verfestigen. Dabei wird Russlands Streben nach Sicherheit teils in einen anti-jüdischen Überlebenskampf uminterpretiert.

 

Daran beteiligte Akteure, wie der ultranationalistische Philosoph Alexander Dugin oder der Schriftsteller Alexander Prochanow, machen Jüd:innen selbst für den Holocaust verantwortlich und erheben den Vorwurf, dass das Judentum zentraler Ideengeber für die Versklavung des russischen Volks durch die Nationalsozialist:innen gewesen sei. Wladimir Solowjow, oft als Chefpropagandist des Kremls bezeichnet, wiederholt regelmäßig und reichweitenstark die Umdeutung des Nazismus-Begriffs als Feindschaft gegenüber Russland und Russ:innen – obwohl dieser historisch eigentlich die NS-Bewegung in Deutschland bezeichnet.

 

Durch die Umdeutung entsprechender historischer Ereignisse und Begriffe wird schließlich die Aufgabe Russlands, gegen Faschismus und Nazismus anzukämpfen, weiter popularisiert und für aktuelle politische Konflikte instrumentalisiert. Zugleich wird die Rolle der Sowjetunion im Holocaust und zu Beginn des Zweiten Weltkriegs (Stichwort Hitler-Stalin-Pakt) verharmlost und ausgeblendet. Oder wie es der Russland-Korrespondent Pavel Lokshin ausdrückt: „Wer der Nazi ist, das bestimmt am Ende Putin.“

 

Fazit


Insgesamt erfüllt die Nutzung antisemitischer Narrative somit eine wichtige innen- wie außenpolitische Funktion für die russische Führung und ist deshalb ein integraler Bestandteil der russischen Propaganda im Angriffskrieg gegen die Ukraine.

 

Weiterführende Informationen:

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