Eine Analyse des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) vom April 2022 hat ergeben, dass fast jede sechste Person in Deutschland daran glaubt, dass Wladimir Putin zum Sündenbock des Krieges gemacht werden solle und dass „westlichen Medien“ bei ihrer Berichterstattung über den Krieg in der Ukraine nicht zu trauen sei. Bis zum Ende des Jahres sind diese und weitere Zustimmungswerte weiter angestiegen.
8 Faktoren: Bei wem kremlfreundliche Propaganda verfängt
Klar ist aber auch: Nicht bei allen Menschen in Deutschland entfaltet russische Desinformation gleichermaßen ihre Wirkung. Analysen und Umfragen der letzten Jahre haben insbesondere acht Faktoren herausgearbeitet, die mit Anfälligkeit für Desinformation und Verschwörungsglauben in Zusammenhang stehen:
Misstrauen gegen bekannte Medien: Menschen, die öffentlich-rechtlichen Medien und der bekannten Presse misstrauen und diese als „Mainstream-Öffentlichkeit“ betrachten. Dies betrifft besonders verschwörungsaffine Kreise, die sich zum Beispiel vorwiegend mittels Messengern wie Telegram informieren und austauschen.
Russische Migrationsgeschichte: Teile der russischsprachigen Community, z.B. Spätaussiedler:innen aus der ehemaligen Sowjetunion, die den Medien ihrer früheren Heimat mehr vertrauen als den deutschen.
Antiamerikanische Einstellungen: Personen aus einem globalisierungskritischen, antiamerikanistischen Milieu sind aufgrund ihrer Ablehnung der USA besonders empfänglich für russische Desinformation – was zugleich eine passende ideologische Grundlage für antisemitische Verschwörungsnarrative darstellt.
AfD-Anhänger:innen: Wähler:innen der AfD sind ebenfalls empfänglicher für pro-russische Propaganda als die Wähler:innen anderer Parteien.
Impfskepsis: Auch sogenannte Querdenker:innen, Impfgegner:innen, Menschen mit einer allgemein höheren Protestbereitschaft und Rechtsextreme gehören zu den Zielgruppen pro-russischer Desinformationskampagnen.
Ostdeutsche Herkunft: Offenbar treffen viele dieser Punkte in Ostdeutschland zu, denn hier gibt es im Vergleich zu Westdeutschland „signifikante Unterschiede in der Bewertung pro-russischer Propaganda“ und eine höhere Zustimmung zu entsprechenden Narrativen. Als ein Grund dafür wird die unterschiedliche historische Beziehung zu Russland aufgrund der deutschen Teilung von 1949 bis 1990 angeführt.
Einsamkeit: Insbesondere einsame Jugendliche neigen eher dazu, an Verschwörungstheorien zu glauben, autoritäre Politiker – wie zum Beispiel Putin – zu bewundern sowie Gewalt und Hass zu befürworten.
Antisemitismus
Mit Blick auf den Antisemitismus im Krieg gegen die Ukraine zielen die von russischer Seite verbreiteten Narrative und Aussagen besonders auf jene Menschen ab, bei denen antisemitische Ressentiments bereits vorhanden sind bzw. leicht getriggert werden können – das können Personen aus den erwähnten Gruppen, aber auch andere Menschen mit latentem Antisemitismus sein.
In unserem kürzlich durchgeführten Projekt Antisemitismus im Dark Social zeigte eine qualitative Analyse einschlägiger Social-Media-Kanäle zudem, dass antisemitische Narrative an die Querdenkerszene anknüpfen und so eine weitere Verschmelzung mit rechtsradikalen Gruppen ermöglichen.
Die potenzielle Wirkung pro-russischer, antisemitischer Narrative betrifft aber nicht nur solche politischen Randgruppen, sondern kann bis in die Mitte der Gesellschaft reichen. Schließlich kommen verschiedene Langzeitstudien zu dem Ergebnis, dass bis zu einem Fünftel der Bevölkerung in Deutschland deutlich antisemitische Einstellungen aufweist.
Das Ziel der russischen Führung, diese Menschen mit entsprechenden Botschaften anzusprechen und für die Unterstützung pro-russischer Positionen zu gewinnen, darf deshalb nicht unterschätzt werden.